Kranz der Leipziger Delegation

Leipziger Delegation in Kyjiv

von Susanne Tenzler- Heusler

Begegnungen zwischen Erinnerung, Gegenwart und Solidarität

Vom 22. bis 26. August 2025 reiste erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges eine Leipziger Bürgerdelegation in die ukrainische Hauptstadt Kyjiv. Eingeladen hatte die Stiftung Friedliche Revolution, unterstützt von der Stadt Leipzig. Ziel war es, die Städtepartnerschaft zu beleben, mit Vertreterinnen und Vertretern der ukrainischen Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen und aus der Begegnung zu lernen, wie Erinnerungskultur in Kriegszeiten Gestalt annimmt.

Zur Delegation gehörten:

  • Dr. Gesine Märtens, Leipziger Stadträtin (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Prof. Dr. Beate Mitzscherlich, EuropaMaidanLeipzig e.V.
  • Regina Schild, Vorstand Stiftung Friedliche Revolution
  • Gesine Oltmanns, Ehrenvorsitzende der Stiftung Friedliche Revolution
  • Siegbert Scheffke, Journalist
  • Susanne Tenzler-Heusler, brandvorwerk-pr
Delegation in Kyji
Kranzniederlegung der 6köpfigen Leipziger Reisegruppe auf dem Maidan
Zentrale Begegnungen

Gleich zu Beginn traf die Gruppe die Aktivistin und Theatermacherin Yana Salakhova, die Workshops zum „Theater der Befreiung“ entwickelt hat. Sie sprach über den Euromaidan als Erfahrung der Selbstermächtigung und zog Parallelen zur Friedlichen Revolution in der DDR. Sie berichtete außerdem von aktuellen Protesten gegen die Unterstellung der Antikorruptionsbehörden unter die Generalstaatsanwaltschaft – ein Zeichen, dass demokratische Selbstbehauptung auch mitten im Krieg weitergeht.

Im Maidan-Museum erläuterte Direktor Ihor Poshyvailo, wie die Erinnerung an die „Revolution der Würde“ gepflegt wird. In einer interaktiven Ausstellung wird sichtbar, dass der Euromaidan nicht nur Protest war, sondern auch Selbstorganisation: Suppenküchen, medizinische Hilfe, psychologische Betreuung. Ergänzt wird dies durch einen begehbaren Maidan-Plan auf dem Boden, der die Dynamik der Ereignisse nachzeichnet, sowie durch eine interaktive Installation für Schul- und Bildungsprojekte. Das Konzept wurde in Zusammenarbeit mit dem Berliner Wettbewerbsbüro phase 1 entwickelt, jenem Büro, das auch das Verfahren für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig betreut hat. Erinnerungskultur, so Poshyvailo, bedeutet hier nicht Heroisierung, sondern die Ermutigung, Freiheit selbst zu verteidigen.

Mit dem Journalisten Denys Trubezkoj diskutierte die Delegation die Perspektiven des Landes. Er sprach von der „Ambivalenz“ des Alltags: Widerstand und Erschöpfung, Hoffnung und Angst, Normalität und Krieg existieren nebeneinander. Trotz aller Zermürbung bleibe die ukrainische Gesellschaft geeint im Ziel, ihre Staatlichkeit nicht preiszugeben.

Die Rolle der Kirche war Thema bei Gespräch mit dem Priester Yuri Sokolov in der berühmten Sophienkathedrale. Sokolov  hofft auf die Ressource „Weisheit“ für eine Versöhnung nach dem Krieg. Er bezog dabei klar Position gegen das Moskauer Patriarchat, das Putins Politik unterstützt.

Eine junge Ukrainerin demonstríert am Unabhängigkeitstag der Ukraine
Bürgermeister von Kyjiw - Vitali Klitschko im Gespräch mit Bürgern
Priester Yuri Sokolov mit der Leipziger Delegation vor der Sophien Kathedrale

Von besonderer Eindringlichkeit war der Besuch in Butscha. Der stellvertretende Bürgermeister schilderte die Ereignisse der russischen Besatzung, die mehr als 560 Menschen das Leben kostete. An der Gedenkstätte berichtete er auch von seiner eigenen Traumatherapie, ein Hinweis darauf, dass nicht nur Städte, sondern auch Menschen Wege der Heilung suchen müssen, um trotz Zerstörung weiterleben zu können.

Ein weiteres Gespräch führte die Gruppe zu Vostok SOS, einer Menschenrechts- und Hilfsorganisation. Drei junge Mitarbeiterinnen erklärten, wie sie Evakuierungen aus frontnahen Gebieten koordinieren, alte und kranke Menschen versorgen und auch Tiere mitnehmen, um Vertrauen zu schaffen. Sie dokumentieren Deportationen, Enteignungen, Beweise für mögliche Strafverfahren in der Zukunft.

Auch mit dem stellvertretenden Verteidigungsattaché der Deutschen Botschaft Robert Pröse, der aus Leipzig stammt, kam es zu einem intensiven Austausch. In nüchterner Sprache erläuterte er Szenarien des Kriegsverlaufs, die Rolle internationaler Unterstützung und die Realität von Kriegsgefangenen und Vermissten. Sein Fazit lautete schlicht: „Krieg ist furchtbar“ und gerade deshalb müsse Solidarität organisiert werden.

Kranzniederlegung in Butcha

Kranzniederlegung in Butcha

Gruppenbild in Butcha mit Taras Shapravskyi, dem stellvertretenden Bürgermeister

Gruppenbild in Butcha mit Taras Shapravskyi, dem stellvertretenden Bürgermeister

Taras Shapravskyi schildert eindrucksvoll und bewegend das Grauen der russischen Besatzung.

Ambivalenz von Bedrückung und Kraft

Die Delegation erlebte Kyjiv als Stadt im Ausnahmezustand – zwischen Luftalarmen, zerstörten Häusern und dem sichtbaren Alltag in Cafés, Parks und Kulturzentren. Besonders eindrücklich war der Besuch im Jugend- und Kulturzentrum Spasska 13, wo junge Menschen trotz aller Belastungen Theater, Lesungen und Musik organisieren. Hier wurde erfahrbar, wie Kultur Orte der Resilienz schafft.

Am 24. August nahm die Gruppe an den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag der Ukraine teil und legte Blumen für die Gefallenen nieder. Gespräche mit Angehörigen von Vermissten und Gefangenen machten deutlich, wie sehr individuelle Schicksale im Krieg zu politischen Fragen werden.

Ausgebrannte Autos in Kyjiv, als stille Mahnmale – in Erinnerung an die Menschen, die darin ums Leben kamen

Ausgebrannte Autos in Kyjiv, als stille Mahnmale – in Erinnerung an die Menschen, die darin ums Leben kamen

Mit dem Bezirksbürgermeister Georgii Zantaraia – einmitten der Ruinen eines Raketenangriffs – Zerstörung, die sprachlos macht

Mit dem Bezirksbürgermeister Georgii Zantaraia – einmitten der Ruinen eines Raketenangriffs – Zerstörung, die sprachlos macht

Schlussfolgerung und Dank

Die Reise verdeutlichte: Erinnerungskultur ist keine Rückschau, sondern eine Praxis im Hier und Jetzt. Sie verbindet das Gedenken an die Revolutionen mit der Realität des heutigen Krieges. Für die Leipziger Delegation war spürbar, dass Solidarität mehr bedeutet als Hilfslieferungen: Sie entsteht im direkten Gespräch, im Zuhören, im gemeinsamen Fragen nach Freiheit und Verantwortung.

Initiiert und organisiert wurde die Reise von der Stiftung Friedliche Revolution, die damit einen wichtigen Impuls zur Belebung der Städtepartnerschaft und zum zivilgesellschaftlichen Austausch gegeben hat. Dass solch eine Delegation möglich wurde, ist dem langen Vorlauf, intensiver Vorbereitung und der engen Koordination mit ukrainischen Partnern zu verdanken.

Besonders hervorzuheben ist die Organisation vor Ort durch Tim Bohse: Tim Bohse ist internationale Friedensfachkraft im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (KURVE Wustrow), zuständig für Konfliktbearbeitung und zivilgesellschaftliche Stärkung in Kyjiw. Seine perfekte Vorbereitung und die Betreuung vor Ort haben maßgeblich zum Gelingen der Begegnungen beigetragen.

Die Stiftung Friedliche Revolution dankt allen Gastgeberinnen in Kyjiv – Aktivistinnen, Politikerinnen, Journalistinnen, Geistlichen, Mitarbeiterinnen von NGOs, die trotz des Krieges ihre Türen geöffnet, ihre Erfahrungen und Hoffnungen geteilt haben.

Kranz vor ukrainischen Flaggen.
Im stillen Gedenken an die ukrainischen Opfer

Fotos: Susanne Tenzler-Heusler

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