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Die Stiftung Friedliche Revolution trauert um die „Mutter der Solidarność” Anna Walentynowicz

Anna Walentynowicz war eine ebenso mutige wie ungewöhnliche Frau. Ihr Leben lang hat sie sich für Gerechtigkeit und gegen Gewalt eingesetzt. Am 10. April ist sie mit 95 weiteren Passagieren beim Absturz der polnischen Präsidentenmaschine über Smolensk ums Leben gekommen. Der Warschauer Publizist Adam Krzeminski, der auch dem Kuratorium unserer Stiftung angehört, erinnert an einige der ungewöhnlichen Lebensstationen von Anna Walentynowicz.

Die „Mutter der Solidarność” wurde 15. August 1929 in Równe, heute Westukraine, geboren, wo sie nur die ersten vier Grundschul-Klassen besuchte. Mit zehn Jahren wurde sie als Vollwaise von fremden Menschen aufgenommen. Nach dem Krieg schlug sie sich als Gelegenheitsarbeiterin durch, ehe sie 1950 als Schweißerin auf der Danziger Lenin-Werft die Norm zu 270% erfüllte und zur gefeierten Heldin der Arbeit aufstieg. Bald aber trat sie aus dem kommunistischen Jugendverband aus und der Frauenliga bei. Schon damals begann sie, sich für die Rechte der Arbeiter einzusetzen und bekam Schwierigkeiten mit der Staatssicherheit.

Während des Streiks im Dezember 1970 bekochte sie die Streikenden. Im Januar 1971 delegierte man sie zu einem Treffen mit Parteichef Edward Gierek. 1978 war sie unter den Mitbegründern der Freien Gewerkschaften, was wiederholte Schikanen nach sich zog: Festnahmen für 48 Stunden, Hausdurchsuchungen und schließlich
– fünf Monate vor der Pensionierung – ihre kurzfristige Entlassung.

Diese Maßregelung empörte die Werftarbeiter. Am 14. August 1980 begannen sie einen Solidaritätsstreik, dem sich bald andere Betriebe anschlossen – zuerst an der Küste, dann landesweit. Die erste Forderung der Streikenden war die Wiedereinstellung von Anna Walentynowicz, aber im Grunde ging es ihnen um die Zulassung der Freien Gewerkschaften. Die Solidarność wurde geboren.

Nach der Ausrufung des Kriegszustandes1981 durch General Jaruzelski wurde Anna Walentynowicz interniert. 1983 wurde sie mit dem Vorwurf, den Streik auf der Werft gegen den Kriegszustand vorbereitet zu haben, angeklagt und zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Verhaftet wurde sie dennoch – wegen ihres Versuches, im Dezember 1983 eine Gedenktafel für die 1981 während der Erstürmung der Grube „Wujek“ von der Polizei erschossenen Arbeiter anzubringen. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes wurde sie Anfang April 1984 entlassen. Nach dem Stasi-Mord am oppositionellen Priester Jerzy Popieluszko initiierte sie im Februar 1985 einen (rotierenden) Hungerprotest, der bis August 1985 andauerte.

In den 80er Jahren trat sie gegen die damalige Führung der „Solidarnosc” auf und bezichtigte Lech Wałęsa der Kontakte zur Stasi. 1989 hielt sie die Politik des Runden Tisches für zu nachgiebig gegenüber den Kommunisten und identifizierte sich nicht mit den folgenden Regierungen der Solidarnosc. 2000 lehnte sie die Ehrenbürgerschaft Danzigs ab. Am 13. Dezember 2005 nahm sie im Namen der Solidarność die Freiheitsmedaille der amerikanischen Stiftung für die Opfer des Kommunismus entgegen.

Wie das Institut des nationalen Gedenkens feststellte, wurde Anna Walentynowicz 1981 von mehr als 100 hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern bespitzelt. 2006 zeichnete sie Lech Kaczynski mit dem höchsten polnischen Orden des Weißen Adlers aus. Am 10. April 2010 kam sie – 80 Jahre alt – bei der Flugzeugkatastrophe in Smolensk ums Leben.

Adam Krzeminski