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Friedensgebet am 24. Oktober 2016

“Stoppt den Krieg in Syrien! Stoppt das Massaker in Aleppo!“

Redebeitrag von Michael Kölsch, Stiftung Friedliche Revolution, im Friedensgebet der Stiftung am 24. Oktober 2016

Liebe Friedensgebetsgemeinde,
liebe Gäste

um in all den zahllosen, immer grausamen Kriegen dieser Welt ein klein wenig Menschlichkeit zu bewahren, haben sich 196 Länder der internationalen Staatengemeinschaft in der Genfer Konvention von 1949 unter anderem darauf verständigt, dass der Einsatz von Giftgas, die Bombardierung von Wohnvierteln mit Bunkerbrechender Munition, sowie die Bombardierung von Krankenhäusern verboten sind. Wie Sie alle wissen, scheren sich die Kriegsparteien in Syrien schon lange nicht mehr um diese Selbstverpflichtung. Neben Giftgas setzen sie in Aleppo Bunker brechende Munition ein, um die in Kellergeschossen Schutz suchende Zivilbevölkerung töten zu können. Sie bombardieren gezielt Hilfskonvois und Krankenhäuser. Täglich sterben unschuldige Kinder in den Trümmern ihrer zerbombten Häuser. Die Menschen erleben ein für uns alle hier kaum vorstellbares, apokalyptisches Grauen, wie es schrecklicher nicht sein kann. Wir sehen die furchtbaren Bilder täglich in den Medien und sind schockiert, aber empören wir uns auch?

Gegen Stuttgart 21 sind tausende auf die Straße gegangen und haben sich leidenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften geliefert. Zu Recht empören wir uns über die verheerenden Zustände in der deutschen Massentierhaltung, über unser unterentwickeltes Bildungssystem, welches nicht jedem Kind die gleichen Bildungschancen gewährt. Wir gehen gegen die Raffgier der Banken auf die Straße und gegen Pegida. Aber wer steht auf gegen den Krieg in Syrien und das andauernde Morden der 250.000 Menschen, die im Ostteil der Stadt Aleppo noch immer eingekesselt sind?

Sind wir etwa paralysiert von den surreal anmutenden Bildern aus Aleppo? Lähmt uns die Scham, die sich einstellt, wenn wir realisieren, in welche Hölle wir Flüchtlinge zurückschicken, die wir zuvor mit dumpfen Parolen in sächsischer und bayerischer Mundart ausgeladen haben? Sind wir etwa beruhigt, und glauben fest daran, dass Wladimir Putin schon irgendwann einmal über eine der zahlreichen Brücken, die ihm Deutschland, Europa und die USA gebaut haben, und fleißig weiter bauen, schreiten wird? Oder stecken wir alle den Kopf in den Sand aus Angst davor, dass aus der Völkerschlacht im Nahen Osten ein Weltenbrand entstehen könnte?

Als am 9. Oktober 1989 auf dem Leipziger Ring nach einem Friedensgebet in dieser Kirche das DDR Unrechtsregime unblutig bezwungen wurde, war das für alle Wertegeleitete Menschen ein großes Glück. Neben all jenen aber, die Schuld auf sich luden, war die Friedliche Revolution auch für Wladimir Putin ein großes Unglück. Denn er musste fortan miterleben, wie die einst stolze Weltmacht Sowjetunion erodierte und an Macht, Einfluss und Ansehen verlor. Daraus machte er nie einen Hehl. Auch daraus nicht, dass er alles daransetzen würde, diese Schmach irgendwann einmal wettzumachen. Wie also einer reagieren würde, der als Oberstleutnant des KGB das schmutzige Handwerk des Täuschens, Lügens und Sabotierens gelernt und verinnerlicht hat, wenn man ihm in Sachen Nato Osterweiterung zu nahe kommen würde, hätte jedem der verantwortlichen Europapolitiker klar sein müssen. Wie ein solcher reagieren würde, wenn man ihn, wie Präsident Obama das 2014 getan hat, als Anführer einer unbedeutende Regionalmacht verhöhnt, hätte ebenfalls jeder ahnen können. Dass nun einer wie er, der im Tschetschenienkrieg die Stadt Grosny vernichtet hat, der sich vor den Augen der Welt die Krim geschnappt hat und vermutlich nicht aufgeben wird, bis auch noch den Landweg dorthin gesichert ist, dass der sich die Hände reibt und dankbar die Chance nutzt, seinen Einfluss im Nahen Osten geopolitisch zu manifestieren, während der Westen zögert, darf niemanden verwundern. Und ebenso wenig darf verwundern, dass Putin an der Seite von Assad mit unerbittlicher Brutalität die Menschen im Ostteil von Aleppo massakriert und täglich Müttern ihre Kinder nimmt. Natürlich wird es immer wieder Feuerpausen geben, natürlich immer wieder Gespräche auf diplomatischer Ebene. Putin braucht sie, um die Bilder davon seinem Volk zu zeigen, damit dieses ihm die Rolle des Kümmerers abnimmt. Von seinem eigentlichen Ziel aber, Russland zu alter Größe zurück zu führen, wird ihn das nicht abbringen. Und er kann hinter dieses Ziel auch nicht mehr zurück!

Die Chance des rechtzeitigen Eingreifens in Syrien hat der Westen verpasst. Präsident Assad hat die von den USA gezogene rote Linie mit dem Einsatz von Giftgas übertreten und der Westen hat es hingenommen. Spätestens seither liegt das Schicksal der Region im Wesentlichen in den Händen von Wladimir Putin.

Natürlich ist es die Pflicht aller auf westlicher Seite beteiligter Demokraten, wieder und wieder den Dialog anzubieten und ihn zu suchen, auch, wenn es schwer fällt. Vielleicht hat ja einer unserer mandatierten Volksvertreter eine Idee, wie dem russischen Volk das verloren gefühlte Ansehen in der Welt und damit seine Würde ohne weiteres Blutvergießen zurückgegeben werden kann. Dafür allerdings wäre Empathie nötig. Und die ist bekanntlich eine äußerst seltene Gabe von Politikern.

Ob eine Verschärfung der Sanktionen zum jetzigen Zeitpunkt nicht doch sinnvoll gewesen wäre, vermag ich nicht zu sagen. Die Fortführung des Dialogs jedoch ohne Drohkulisse scheint mir wenig sinnvoll, denn vermutlich ist das die Sprache, die Herr Putin am besten versteht. Wenn jedoch neue Sanktionen, dann möglichst nur solche, die die weitgehend unschuldige, weil gezielt desinformierte russische Bevölkerung verschonen. Die ernsthafte Drohung mit dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT scheint mir indes sinnvoll. Den kann Putin nicht wollen, denn davon wäre auch sein privates Vermögen in Höhe von geschätzten 40 Mrd. USD betroffen.

Bleibt die Frage nach dem militärischen Eingreifen des Westens. Ein solches hätte wohl unweigerlich das militärische Aufeinandertreffen der USA und Russlands zur Folge. Dass daraus ein dritter Weltkrieg entstehen könnte, liegt auf der Hand. Insofern ist das wohl die schlechteste aller Optionen. Zum Tragen käme sie ohnehin erst nach der Präsidentschaftswahl in den USA. Gewinnt Trump wäre sie wohl vom Tische, denn der würde Putin, den er nach seinen eigenen Worten bewundert, gewähren lassen. Hillary Clinton hingegen könnte versuchen, die unter Obama aufgegebene Tradition der internationalen militärischen Einmischung der USA wieder aufleben zu lassen. Ob sie dieses Risiko aber tatsächlich eingehen wird, werden wir nach dem 8. Oktober sehen.

Und bis dahin … lehnen wir uns weiterhin zurück und sind gespannt, geschockt und voller Angst? Ich sage nein, liebe Friedensgebetsgemeinde! Es ist ein christliches, ein Gebot der Menschlichkeit, ein Zeichen der Solidarität mit den Leidtragenden dieses Konflikts zu setzen und uns gut vernehmbar zu empören. Zieht vor die Botschaften und fordert Eure gewählten Volksvertreter auf, noch entschlossener als bisher zu handeln. Angesichts des täglichen Sterbens sollen sie zeigen, wie gut sie ihr politisches und diplomatisches Handwerk beherrschen und sich nicht hinter der Komplexität des Konfliktes verstecken. Ohne öffentlichen Druck der Zivilgesellschaft wird das Morden noch Jahre weitergehen und tausende mehr werden ihr Leben verlieren. Nehmt nach diesem Friedensgebet an der Mahnwache gegen das Morden in Aleppo auf dem Nikolaikirchhof teil. Tragt Euch mit Eurem Namen in die Unterschriftenliste ein, die hier hinten am Haupteingang ausliegt. Lasst uns in bewährter Weise friedlich die Schreie der syrischen Mütter, die ihre toten Kinder beklagen, weitertragen zu all jenen, die Einfluss auf ein baldiges Ende dieses furchtbaren, gefährlichen Krieges haben.

Danke!
Gez. Michael Kölsch
Leipzig, 24.10.2016