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Friedensgebet am 9. Mai 2016

„Stoppt den Waffenhandel“

Predigt von Pfarrer Stephan Bickhardt in der Nikolaikirche Leipzig

Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Teilnehmer des Friedensgebetes, liebe Gemeinde!

Der 8. Mai 1945, ein Tag, der lange in Deutschland als Tag der Kapitulation begangen worden ist, das war im Westen der Republik.

Der 8. Mai 1945, ein Tag, der lange als ein Tag des Sieges über den Faschismus gefeiert worden ist, das war im Osten der Republik.

Richard von Weizsäcker sprach 1985 zum Ende des 2. Weltkrieges am 8. Mai diesen Satz: „Es war auch für die Deutschen ein Tag der Befreiung.“ Es gibt Sätze, die machen Geschichte, mindestens gehen sie ein in die Geschichte.

Mit solchen Sätzen bleiben wir daran erinnert, in welcher Weise die Gesellschaft erinnert, in welcher Weise kollektiv, gemeinschaftlich ein Lernen aus der Geschichte geschieht. „Es war auch für die Deutschen ein Tag der Befreiung.“ Auch? Weizäcker leugnet nicht, dass dieser Tag, rechtsgeschichtlich betrachtet, die Kapitulation des grausamen und irren Regimes der deutschen Nazis war. Aber, in dem, was Menschen als Niederlage empfanden, ist bleibend vor allem dies: Befreiung.

Menschen brauchen große Sätze und machen Sätze groß, weil es ein Verlangen gibt nach Haltung, die sich mit einem nicht immer zu erklärenden Lebensgefühl verbindet. Michael Gorbatschows Satz „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ kündete vom Ende der kommunistischen Parteien. Oftmals sind solche Worte zugleich Sätze, die sich selber überragen, die mehr sagen, als die Absicht im Moment des Sprechens es vermag. Martin Luther Kings Wort „Ich habe einen Traum.“ kündete das Ende der Rassentrennung an und machte deutlich, der Traum von ihrem Ende ist mit einem leidvollen Kampf verbunden. Und noch einen Satz erwähne ich. Ich sehe ihn manchmal vor mir in meiner Aufgabe als Polizeiseelsorger. Seit Jahren steht auf einem Flipchart im Dienstzimmer des Stellvertreters des Polizeipräsidenten von Leipzig der Satz groß aufgeschrieben: „Yes we can“ – ein Ausdruck eines ethischen Pragmatismus, der Selbstermunterung, zu handeln in täglich anderen Konfliktlagen.

Es fällt auf, dass solche geschichtsmächtigen Worte oftmals Männern zugebilligt werden. Der Ausruf „Keine Gewalt“ wurde von Männern und Frauen auf den Montagsdemonstrationen 1989/90 gerufen.

Es sind Worte Jesu, die das gemeinschaftliche Lernen aus der Geschichte und mit seiner Geschichte festhalten. Ein solcher großer Satz lautet: „Selig sind, die Frieden stiften.“ Selig und glücklich sind, die Frieden machen, etwas dafür tun. Glücklich sind, die Frieden einüben. Jede und jeder unter uns hier im Friedensgebet kennt dieses große Wort. Selig sind, die Frieden stiften. Lohnt es sich erneut, die Bedeutung dieser Botschaft zu vergegenwärtigen?

Es ist durchaus nicht selbstverständlich, für Frieden zu streiten. Es ist doch eher selbstverständlich, dass andere den Frieden machen, der römische Kaiser z. B. mit seiner Pax Romana zur Zeit Jesu. Oder: Das Familienoberhaupt entscheidet dies und das und alle halten sich daran, es herrscht Frieden. Oder: Die vertagschließenden Seiten, also die Staaten, rechtstechnisch gesprochen, die Subjekte des Völkerrechts schließen Frieden und die Bürger nehmen daran Anteil, mehr nicht. Frieden haben, kann auch missverstanden werden, nach dem Motto: füge dich.

Der große Satz Jesu, den wir heute in Erinnerung an den Tag der Befreiung aufleuchten lassen, heißt „Frieden stiften“. Frieden stiften gegen den Krieg - wirklich etwas tun und Frieden fordern. Frieden stiften gegen die Gewaltausbrüche - wirklich etwas tun und Frieden vermitteln.

Alle Seligpreisungen richten sich an eine Mehrzahl von Menschen, „selig sind“, eine Vielzahl von Hörerinnen und Hörern. Selig sind alle, die Frieden machen. Eine Glückverheißung ist denen angesagt, die sich in Konflikte stellen.

Im Gedenken an den Tag der Befreiung vom Terrorregime der Nationalsozialisten erinnern wir der Opfer, die ein einzelner Mensch niemals in ihrer Zahl erfassen kann, dieses Leiden. Es ist überhaupt nicht vorstellbar, dass ein Mensch selig ist, eine Frau, die um Schonung für ihr Kind bittet und dann doch mit dem Kind erschossen wird. Der „Holocaust durch Erschießen“ – derzeit ein europäisches Forschungsprojekt - war eine grausame Vernichtungsart, der Millionen Menschen im Osten unseres Kontinents zum Opfer fielen.

Selig sind, die Frieden stiften. Kann dieses Wort nur aus leidlichem Frieden, aus einer erträglichen Lebenssituation heraus gelebt werden? In meinen Augen bleibt das eine Frage, eine, die beantwortet werden kann von denen, die die Schrecken des Krieges selbst erlebt haben. Viele Ältere hier unter uns haben den Krieg erlebt.

Mich ergreift hier eine Unruhe. In Deutschland kann aus leidlichem Frieden gehandelt werden. Es wäre doch geradezu ein Hohn, auf dieses Jesus-Wort hin nichts zu tun, nichts für Verständigung, Frieden, Versöhnung zu tun. Ihr seid selig, wenn ihr das tut, Frieden schaffen. Dieser Zuspruch erfüllt sich überall dort, wo in kleinen Initiativen, in offenen Teams Friedensstiftung geschieht. Ich habe das selbst in solchen kleinen Gruppen bis heute und immer wieder erlebt.

Die Kraft der kleinen Gruppen, der direkte Dialog, der dort noch möglich ist, diese Kraft könnten wir wiederentdecken. Kleine Friedensgruppen, manchmal in großen Netzwerken verbunden, gibt es vielfach, aber wer nimmt sie wahr!? Menschen, die gelernt haben aus dem Krieg, dass er nie wieder sein soll und dass die Menschheit befreit werden muss von dieser brutalen politischen Option, diese Menschen sammeln sich in solchen Friedensstiftergruppen.

Ich denke an die Peace Brigades international, die in Länder gehen, wo Bürgerkrieg herrscht - und vor Ort und im Team Friedens- und Menschenrechtsinitiativen begleiten, manchmal auch beschützen. Große Bedeutung haben diese kleinen Gruppen. In solchen aktiven Gruppen werden Menschen oftmals zu Freunden.

In Europa gibt es Krieg. In der Urkraine. Dort herrscht der uns geographisch am nächsten liegende Krieg. Mindestens 3000 Todesopfer. Die russische Öffentlichkeit braucht genaue Informationen, was dort wirklich geschieht, kleine Gruppen können da etwas leisten und tun das.

Kürzlich wurde der deutsche Rüstungsexport von 23 Hubschrauber mit militärischen Einbauten nach Saudi-Arabien genehmigt. Kleine Gruppen protestieren. Werden diese Waffen womöglich einmal gegen die Zivilgesellschaft gerichtet?

Die kommunistische Partei Nordkoreas hält einen Kongress ab. Wer spricht von den tausenden Toten der vergangenen Jahrzehnte in den Straflagern? Flüchtlinge gaben Zeugnis von ihren bitterharten Erfahrungen. Wir wollen ihre Bilder und Aussagen sehen, nicht die Fassaden von Gleichschritt und lächelndem Diktator.

In kleinen Gemeinschaften Jesu Friedenswort leben, stiften, tun, schaffen, kritisieren, versöhnen. Ein solches Leben befreit und ich wünsche es ehrlich denen, die sich gegenwärtig in Fremdenhass verstricken. Es gibt keine Alternative zu den kleinen Gruppen. Sie haben manchmal großes angestoßen. Es gibt auch deshalb keine Alternative zu diesen Gemeinschaften, weil von Frieden nur die Rede sein kann, wo er auf Dauer Menschen in ihren Lebensvollzügen verbindet. Und noch in jeder Gesellschaft zeigt sich an der Basis, ob Frieden lebt. Und diese Basis sind diese vielen Initiativen von unten.

Das Vermächtniswort Jesu über die Friedensstifter endet mit einer zweiten Verheißung, „ihr werdet Kinder Gottes heißen“. Wir alle wissen, Eltern bleiben Eltern, sie bleiben es für immer, selbst, wenn wir sie nicht mehr unter uns sind. Bleibend angenommen ist, für immer angenommen ist, wer dieses Wort über die Friedensstifter dem Jesus Christus glaubt. Ich scheue mich nicht zu sagen, ich bekenne mich zu Jesus Christus.

Amen.